1270 words - 1 Meaning: Always keep fighting.

20 Februar 2013 | / | 20 Kommentare

Ich habe lange überlegt, ob ich das hier veröffentlichen soll, weil es doch sehr privat ist und komisch, darüber zu schreiben. Andererseits habe ich es wirklich kurzgefasst und nicht detailliert beschrieben. Mehr möchte ich dazu erst einmal nicht sagen - lest es euch durch und schreibt mir euren ersten Eindruck.

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Mit 17 änderte sich ihr Leben für immer.
Sie war seit drei Monaten in Amerika für einen Austausch.
In letzter Zeit fühlte sie sich komisch, konnte aber nicht beschreiben, wie. Ihr war oft schwindelig und sie kam sich vor wie in einer Seifenblase.
Sie saß am Lunch-Tisch und ihr wurde plötzlich schwarz vor Augen. Dies wiederholte sich eine lange Zeit, ohne dass sie es irgendeiner Vertrauensperson erzählte.
Sie hatte Angst, es wäre Einbildung. Dass sie verrückt werden würde. Vielleicht war sie einfach übermüdet. Denn müde war sie immer. Und durstig. Manchmal zitterte sie einfach am ganzen Körper.
Bis die Erkältung kam, sagte sie nichts.
Doch dann, mit schmerzenden Bronchien, hielt sie es nicht länger aus.
Beim Arzt sagten sie, dies könne von der Erkältung kommen. Sie versuchte, ihnen zu glauben, während ihr Kopf bereits Szenarien durchging. Was, wenn sie etwas Schlimmes hatte?
Sicherheitshalber wollten die Ärzte ihr Blut abnehmen.
Sie sah alles nur noch durch einen langen Tunnel und bekam Fruchtsaft hingestellt. Trinken sollte sie, dann würde es besser werden. Dann lag sie in einem leeren Arztzimmer, ihre Gastmutter hielt ihre Hand. Es dauerte einige Zeit, bis ihr Kopf nicht mehr brummte und sie aufstehen konnte.

Die Erkältung dauerte an. Während der Schnupfen und Husten verschwand, wurde das Gefühl, in einer Seifenblase zu schweben, stärker. Sie fühlte sich unreal. Es war beängstigend.
Ab und zu hatte sie Filmrisse, saß im Bett und wusste nicht, was sie die Stunde davor gemacht hatte, war vermutlich einfach eingeschlafen.
Das kommt vom Hustensaft, sagten sie.
Mittlerweile hatte sie Angst, abends ins Bett zu gehen, weil sie so schwach war, dass sie Angst hatte, nie wieder aufzuwachen.
Ihre Eltern und Freunde nie wiedersehen würde. Was dann? Verzweiflung in jeder Pore.
Auch wenn sie in ihrer Gastfamilie gut aufgehoben war, so sehnte sie sich nach Zuhause. Ihren Eltern hatte sie nicht alles erzählt, weil sie einfach nicht wollte, dass sie sich Sorgen machten. Sie weinte erst, wenn die Eltern aufgelegt hatten.

Nachdem es ihr nicht besser ging, kaufte ihre Gastmutter Nährstoffshakes, in der Hoffnung, sie damit aufpäppeln zu können. Dürr war sie geworden, schwach. Sie lag den ganzen Tag im Bett und trank die Shakes.
Abends dann wurde ihr so schwindelig, dass sie nicht mehr nach oben gucken konnte, es war zu anstrengend. Ihr Atem ging schnell und flach.
Sie hyperventilierte, erklärte der Arzt im Krankenhaus.
Sie bekam eine Tüte, in die sie hineinatmen musste – wie in den Filmen. Außerdem wurde sie an einen Monitor angeschlossen, der sie überwachte. Soweit schien alles in Ordnung zu sein, bis der Arzt ihren Blutzucker testete.
Endlich hatten sie einen Anhaltspunkt – der Blutzucker war viel zu hoch.
Vielleicht Diabetes mellitus, sagten die Ärzte.
Es war ihr egal was, Hauptsache sie konnte damit leben, wieder gesund werden.
Das hatte sie sich geschworen, darauf gehofft, ab und zu sogar gebetet.
Noch nie hatte sie einen größeren Wunsch vor Augen gehabt.

Am nächsten Tag wurde ihr erneut Blut abgenommen, ihr wurde erneut schwarz vor Augen, sie überstand es erneut.
Danach bekam sie ein Blutzuckermessgerät und ihr wurde erklärt, wie es funktionierte. Sie sollte eine Woche ihren Blutzucker messen und ein Tagebuch darüber schreiben. Außerdem wurde ihr erzählt, sie solle versuchen, auf Kohlenhydrate zu verzichten.
(Was, wie sie heute weiß, vollkommener Quatsch war. Aber woher sollte sie es damals wissen?)
Aufgeklärt, was Diabetes überhaupt genau war, wurde sie nicht. Den einzigen Anhaltspunkt bot ihr das Internet, in dem sie auf Gruselgeschichten stieß. Kein Wunder, dass sie dauernd unterzuckert war, wenn sie keine Kohlenhydrate zu sich nahm.
Sie fühlte sich dann jedes Mal so, als wäre sie einen Marathon gelaufen.
Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper brannte und verlangte nach Zucker. Ihr war schummrig und ihre Knie zitterten unkontrolliert. Und das eine Woche lang, dauernd.

Als sie das Blutzuckertagebuch abgab, wurde ihr gesagt, dass sie mit diesen Werten gar kein Diabetes haben könne.
Also zersprang ihre Hoffnung erneut, zerschellte an den Worten des Arztes.

Das Seifenblasengefühl wurde wieder präsenter, als sie wieder normal aß.
Die Ärzte einigten sich darauf, einen Glucose Test durchzuführen. Ihr wurde fünfmal an diesem Tag Blut abgenommen, nach dem ersten Durchgang musste sie puren Zucker trinken. Es brannte in ihrem Hals und in ihrem Magen, da sie nüchtern zum Arzt kommen musste. Nun sollte eine Stunde vergehen, bis man ihr erneut Blut abzapfte. Sie setzte sich also ins Wartezimmer und wartete.
Nach zehn Minuten fing sich der Raum an zu drehen, immer schneller. Sie wurde in ein Krankenzimmer gebracht, in dem sie dann lag und die Augen nicht zumachen durfte. Immer noch drehte sich alles und sie hatte wirklich das Gefühl, das könnte es nun gewesen sein.
Es war kein Witz, als sie dachte, dass sie gleich sterben würde. Sie hatte Todesangst in ihrer Seifenblase.
Ihre Gastmutter fuhr sofort zu ihr und hielt wieder ihre Hand. Das einzig Positive an der ganzen Sache war, dass ihr Blutzucker so hoch war, dass sie auf jedenfall Diabetes hatte und nichts anderes wie vermutet.
Trotzdem war dieser Tag einer der Schlimmsten in ihrem Leben.

Völlig entkräftet saß sie dann zuhause auf dem Sofa und so komisch es war, sie war erleichtert.
Mittlerweile hatte sie einigen Menschen von dem Verdacht erzählt und konnte ihn nun bestätigen.
Die Nachrichten an sie zurück drückten aus, was sie fühlte: Und jetzt?
Jetzt wollte sie endlich, dass es bergauf ging.
Leider ließ das auf sich warten. Sie bekam zwar einen Insulin Pen, mit dem sie sich Insulin spritzen konnte, allerdings eine zu geringe Dosis. Natürlich ging es ihr dadurch nicht besser. Ihr wurde noch häufiger schwarz vor Augen und sie bekam mittlerweile sogar Panikattacken, da ihr Körper vollkommen verwirrt war, ob es ihm nun gut ging oder nicht.
Erst hielt sie es aus, aber die Panikattacken wurden so schlimm, dass sie kaum noch zur Schule gehen konnte. Dadurch, dass sie nur im Haus war, konnte sie auch ihre Muskeln nicht mehr aufbauen.
Sie war geistig und körperlich einfach am Ende.
Und als die Schulärztin zu ihr meinte, sie solle nach Hause fliegen, da sie in "Germany" sicher fortgeschrittener waren, fasste sie einen schweren Entschluss.
Ein Auslandsjahr war so lange ihr Traum gewesen und genau diesen musste sie nun aufgeben. Es war vollkommen klar, dass sie so nicht weiterleben konnte, trotzdem nahm sie dies noch zusätzlich mit.
Sie hatte das Gefühl, ihr Leben wäre zerstört und würde sich nie wieder aufbauen lassen.

Als sie an Weihnachten schließlich Zuhause ankam und im Auto saß, war sie einfach nur müde.
Doch jetzt konnte sie beruhigter schlafen.

Nach zwei Tagen musste sie erneut umziehen – in die Uniklinik.
Endlich wurde sie richtig eingestellt und bekam eine Diabetesschulung. Dabei entdeckte auch eine Therapeutin die Angsterkrankung sowie eine Blutphobie als posttraumatisches Erlebnis.
Jeder der Ärzte war verständnisvoll, andere Menschen eher weniger.
Es war ihr zu kompliziert, die Panikattacken und die Auslöser zu erklären, außerdem fiel es ihr schwer, überhaupt über diese Erlebnisse zu sprechen.
Als die Attacken so schlimm wurden, dass sie sich nicht mal mehr aus dem Haus traute, kam sie erneut in die Klinik, diesmal jedoch auf eine psychosomatische Station.
Langsam machte sie Fortschritte und holte sich ihr Leben nach und nach zurück.
Sie konnte lange Zeit den Druck und Stress des Alltags nicht ab, doch langsam findet sie dahin zurück.
Manchmal kommen die Panikattacken wieder und es geht ihr schlecht, aber sie schafft es jetzt besser, sich aus einem dunklen Loch herauszuholen.
Bis all diese Erinnerungen überwunden sind, wird es noch dauern.

Doch sie weiß jetzt, wie stark sie ist. Sie weiß jetzt, dass man immer wieder aufstehen kann, wenn man am Boden lag und sie weiß, dass nach jeder schlechten Phase wieder eine Gute folgt.
Das Kämpfen lohnt sich – jeden Tag.