Agoraphobie 2.0 - Mein Kampf gegen die Angst

26 April 2015 | / / / |
Schon oft habe ich versucht, mit Worten zu beschreiben, wie sich die letzten 3 Jahre für mich angefühlt haben.
Die Reaktionen der Leser zeigten mir zwar, dass meine Worte ankamen und verstanden wurden, für mich ist dieses Kapitel jedoch noch nicht abgeschlossen.

Es gibt immer noch Dinge und Situationen, die ich langsam oder anders angehen muss und mir fallen dabei immer wieder neue alte Erinnerungen ein, die ich verdrängt hatte.
Jetzt könnte man meinen, diese Erinnerungen gingen keinen etwas an, aber ich habe keine Angst, darüber zu reden oder zu schreiben, tatsächlich hilft es mir, mich und meine Psyche in bestimmten Situationen noch besser verstehen zu können und auch meinem Umfeld begreiflich zu machen, warum ich so fühle wie fühle.

Während meine beste Freundin mich bereits „Xtreme Rebel Lea 2.0“ nennt, weil ich frei von Panikattacken bin und wieder jede Situation meistern kann, die mir unüberwindbar vorkam, muss ich mir oft ins Gedächtnis rufen, wie viel ich tatsächlich erreicht habe.
Denn natürlich ist da immer noch ein bisschen Angst übrig, die ich bändigen oder einfach über mich ergehen lassen muss und sei es auch nur dieses blöde Herzrasen, obwohl ich eigentlich gar nicht so aufgeregt bin, wie mein Körper wieder tut.
Mittlerweile kann ich meistens darüber lachen, wenn mein Körper mal wieder Gefahr wittert, wo absolut keine ist, aber das war nicht immer so.

Wie sind diese Panikattacken überhaupt entstanden?
Meine Therapeutin hat mir das so erklärt:
Jeder Mensch hat mehr oder weniger stark ausgeprägte Urinstinkte, die wir von unseren Vorfahren übernommen haben.
Eine davon ist der natürliche Fluchtinstinkt, wenn Gefahr droht.
Stresshormone werden ausgeschüttet, darunter Adrenalin: Puls und Blutdruck steigen an, Muskeln werden angespannt, der Atem geht schneller und das Gehirn stellt sich auf das Wesentliche ein: Bereit für den Kampf oder die Flucht.

Alles begann ungefähr im September 2011, ich war gerade als Austauschschülerin in den USA.
Anfangs fühlte es sich an wie eine normale Erkältung.
Ich war immer müde, schlapp, mir war oft schwindelig und das Atmen fiel mir schwer, dazu kam, dass ich manchmal am ganzen Körper zitterte und mir schwarz vor Augen wurde.
Lange nahm ich das einfach so hin, weil die Ärzte mir eintrichterten, das käme von der Erkältung und dem ungewohnten Umfeld. Bald würde es mir sicher besser gehen.
Stattdessen wurde es schlimmer.
Bei jeder Blutabnahme fiel ich in Ohnmacht (wobei ich mich immer noch frage, was die Ärzte mit dem Blut angestellt haben), ich war morgens zu kraftlos, um zur Schule zu gehen und manchmal saß ich auf meinem Bett und wusste nicht mehr, was ich die Stunde zuvor getan hatte. Erinnerungslücken.

Ich fürchtete mich, abends schlafen zu gehen, weil ich Angst hatte, nicht mehr aufzuwachen.
Ein unwirkliches Gefühl begleitete mich, als würde ich in einer Seifenblase stecken und mich von oben herab beobachten.
Ich dachte, ich würde verrückt werden, weil ich mir all das laut der Ärzte nur einbilden würde.

Vermutlich begannen die Panikattacken bereits dann, aus dem einfachen Grund, da mein Körper so geschwächt war und es mir so schlecht ging, dass er die Gefahr nicht mehr richtig einordnen konnte.
So einfach entsteht eine Angststörung.

Nun war mir natürlich nicht bewusst, dass das, was ich durchmachte, auch noch von Panikattacken gespickt war.
Ich musste zu dieser Zeit oft aus dem Unterricht, da mir wieder schwarz vor Augen geworden war und das eine Panikattacke ausgelöst hatte.
Es verging kein Tag, an dem meine Gastmutter mich nicht früher abholen musste.

Diagnose: Diabetes Typ 1
Da ich außerdem immer weiter abnahm, kaufte mir meine Gastfamilie in ihrer Verzweiflung Nährstoffshakes und diese kleinen Flaschen mit blauem Deckel markieren für mich den ersten Wendepunkt meiner Geschichte.
Es war wieder einer dieser Tage, wo ich den ganzen Tag im Bett gelegen und an die Decke gestarrt hatte, um dem Schwindel zu entkommen.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass der Schwindelanfall, der auf den Nährstoffshake folgte, alles in den Schatten stellte.
Woran ich mich erinnern kann, ist, dass sich der Raum drehte und ich verzweifelt versuchte, meine Augen offen zu halten, was mir nicht gut gelang.
Ich bekam keine Luft und hyperventilierte, mein Gastvater trug mich ins Auto und wir fuhren ins Krankenhaus, dazu noch eine ganze Reihe an Eindrücken und Emotionen, die ich nicht beschreiben kann.
Im Krankenhaus musste ich in eine braune Tüte atmen, mein Blut wurde untersucht und eine ganze Reihe an Tests folgten.
Komisch, dass ich mich daran erinnern kann, wie meine Gastmutter und ich anfangen mussten, zu lachen, als ich dort mit der blöden Tüte saß und endlich eine Diagnose bekam: Diabetes Typ 1.

PC234764
Damals: Mit Rollstuhl bei Abraham Lincoln am Flughafen posieren 

Ich wurde falsch behandelt
Klar, könnte man denken. Erleichterung. Endlich würde es bergauf gehen.
Nach einem üblen Glukosetoleranztest, es war der schlimmste Tag meines Lebens, war klar, dass die Diagnose stimmte. Nach 2 Monaten, in denen es mir so dreckig ging, dass ich nur im Bett liegen konnte, aber mir angeblich alle Beschwerden nur eingebildet hatte.
Leider wurde es nicht besser, da ich trotz der Diagnose falsch behandelt wurde, nämlich wie ein Typ 2 Diabetiker mit einer strengen Diät, die selbst hier bei uns in Deutschland so nicht mehr üblich ist.

Der Entschluss, endlich nach Hause zu fliegen, war nicht einfach und ich habe mich lange dagegen gesträubt, meinen Traum „Auslandsjahr“ aufzugeben, aber die Verzweiflung meinerseits war einfach zu groß.
Ich traute mich nicht mehr aus dem Haus, ich war zu schwach, um im Stehen zu duschen und ich nahm immer weiter ab, obwohl ich die Diät nicht mehr befolgte.

Ich musste viel neu lernen
Psychisch und physisch am Tiefpunkt kam ich in Deutschland an und verbrachte sehr viel Zeit im Krankenhaus.
Ich musste lernen, meinen Alltag mit Diabetes zu managen, die Panikattacken zu bändigen und wieder entspannen zu können.
Ich musste Mut aufbringen, um wieder aus dem Haus zu gehen, meine Muskeln aufzubauen und in Menschenmassen nicht den Kopf zu verlieren.

Ich konnte nicht mal zehn Minuten spazieren gehen, ohne völlig fertig zu sein.
Ich hielt die großen Pausen in der Schule nicht aus und verbrachten diese oft auf der Toilette oder in einer ruhigen Ecke.
Ich konnte nicht einfach in die Stadt oder ins Kino, weil mir große Plätze Angst machten.
Ich war lange Zeit sehr angespannt, konnte keine fünf Minuten still sitzen und ertrug nur so viel körperliche Nähe wie zu einer kurzen Umarmung nötig war.

Und das sind nur einige der Dinge, für die ich kämpfen musste und auf die ich zurückblicke, wenn ich mal wieder unzufrieden über meine Leistungen bin.
Denn sicher ist: Ich habe eine Menge erreicht und kann stolz auf mich sein.
Was ich anderen (vielleicht) wiederum voraushabe, ist, dass ich weiß, wofür es sich zu kämpfen lohnt und ich jeden Tag mit der Gewissheit aufstehe, dass ich alles schaffen kann, wenn ich es nur will.

In meiner Geschichte bin ich die Gewinnerin.







6 Kommentare:

  1. Ein wirklich mitreißender Bericht, bei dem man so richtig mitfühlt! Find ich gut, dass du dadrüber schreibst und auch anderen vielleicht Mut machst, die in der selben Situation sind. Ich fühl mich z.B. in letzte Zeit auch total schlapp, hatte mal zwischendurch 1 Tag Fieber, fühl mich niedergeschlagen, aber weiß nicht woher das kommt. Vielleicht ist es die Frühjahrsmüdigkeit? Ich weiß es nicht. Muss ich mal beobachten...

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  2. ich find dass wirklich mutig von dir über das alles so offen zu sprechen und das einzige was ich dazu sagen kann ist dass ich stolz auf dich bin. so stolz wie man es auf ein mädchen sein kann dass man nur durch ihre posts auf einem blog "kennt" aber trotzdem verdammt stolz!!!!

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  3. Dein Beitrag hat mich gerade sehr an die ersten Wochen dieses Jahres bei mir selbst erinnert. Mir ging es ähnlich, auch wenn es bei weitem nicht so ausgeprägt war, wie bei dir. Von heute auf morgen war ich ebenfalls total schlapp und müde. Ich konnte keine zwei Meter gehen ohne dass mein Puls sofort in die Höhe schoss und ich kurzatmig wurde. Es war total komisch. Dabei war ich nicht erkältet oder so. Als es nicht besser wurde ging ich auch zum Arzt, EKGs wurden gemacht und Blut abgenommen, aber es wurde nichts festgestellt. Zuerst bestand noch ein Verdacht auf eine Herzmuskelentzündung aber auch der Kardiologe konnte nichts finden, mit meinem Herz war alles in Ordnung. Noch am selben Abend hyperventilierte ich und kam mit dem Krankenwagen in die Notaufnahme. Das war bisher die schlimmste Nacht meines Lebens und ich möchte gar nicht mehr daran denken. Man schickte mich schließlich wieder nach Hause und es hieß, ich solle mich einfach nur ausruhen und entspannen. Insgesamt war ich auch fast sechs Wochen zuhause. Anfangs war es für mich auch eine Überwindung wieder raus zu gehen und auch mich strengten wenige Schritte schon total an, weil ich es einfach gar nicht mehr gewohnt war. Inzwischen habe ich von mehreren Personen in meinem Umfeld mitbekommen, dass es ihnen in ihrem Leben ebenfalls so ergangen ist. Die Ärzte nennen es auch gerne gleich mal "Burn Out", aber ein richtiges Burn Out hatte ich bestimmt nicht. Es war einfach nur ein totaler Erschöpfungszustand und ich weiß, dass das alles mit der Psyche zusammenhängt. Ich bin jemand, der sehr viel über alles mögliche nachdenkt. Und seit ich weiß, dass unsere Gedanken sich so positiv oder auch negativ auf den Körper auswirken können, versuche ich das allmählich in den Griff zu bekommen. Positiver zu denken und fröhlicher durchs Leben zu gehen. Es bringt mir und meinem Körper überhaupt nichts, wenn ich ständig nur an alles schlechte denke. Nun mache ich immer wieder mal progressive Muskelentspannung und habe nun auch mit Yoga angefangen. So lerne ich besser auf meinen Körper zu hören und mir immer wieder mal Zeit für mich zu nehmen. Seitdem geht es mir auch wieder besser. Ab und zu denke ich zwar immer noch, dass ich keine Luft bekomme und mein Herz beginnt schneller zu schlagen, aber dann sage ich mir immer, dass das rein nur an meiner Psyche liegt, die mir mal wieder einen Streich spielt. Dann denke ich an etwas Schönes und versuche mich abzulenken, bis es mir wieder etwas besser geht.
    Ich kann daher gut mitfühlen, wie schlecht es dir in dieser Zeit gegangen sein muss. Ich möchte so etwas nie wieder durchmachen.
    Ich finde es daher toll, dass du dich wieder so zurück gekämpft und die Kontrolle über dich wiedererlangt hast. Du kannst wirklich verdammt stolz darauf sein und ich wünsche dir, dass es so bleibt und es sogar noch besser wird!
    Fühl dich gedrückt!

    Liebe Grüße,
    Lia

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  4. Du bist so stark und hast so viel durchgemacht! Ich wünsche dir, dass es dir nie wieder so schlecht gehen muss.
    Liebe Grüße

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  5. Bester Blogpost den ich seit Langem gelesen habe! Und ich finde es gut, dass du das so beschreibst, ich glaube, das kann vielen helfen genauso zu kämpfen wie du und dann auch zu realisieren, warum man das ganze tut.

    Liebe Grüße, Becca
    NEUMONDNACHT

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  6. Schön, wenn man merkt, dass die Panik auch nur ne arme Wurst ist, die man besiegen kann, oder? :) Ich wünsche dir weiterhin alles Gute.

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