Die letzten drei Jahre - der Kampf gegen die Agoraphobie.

03 Juli 2014 | / / |

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Besonders jetzt, zu einer Zeit, wo sich wieder alles ändern wird, denke ich oft an die letzten drei Jahre zurück.

Drei Jahre, die es gebraucht hat, um mir mein Leben zurückzuholen.
Drei Jahre, nach denen ich endlich wieder sagen kann, dass ich glücklich bin.
Drei Jahre mit täglichen Kämpfen gegen den eigenen Körper.

Ich denke, die meisten in meinem Umfeld wissen gar nicht, was für ein Glück ich wirklich habe, solch eine Willenskraft zu besitzen. Es gibt nur wenige Menschen, die sich aus den Klauen einer Angsterkrankung befreien können.
Viele von Ihnen haben seit Jahren nicht ihr Haus verlassen, aus Angst.
Angst vor dem Draußen sein, vor der Weite, vor den Menschenmassen, vor dem Gefühl, Angst zu haben.
Vor dem Gefühl der Unwirklichkeit, das einen überfällt. Das von oben auf sich selbst herunter gucken.
Das Bewusstsein kann falsch gepolt viel Schaden anrichten, ohne dass man etwas dafür kann.

Stellt euch vor, wie es sich anfühlt, wenn euch das Gehirn falsche Tatsachen vorspielt, in diesem Fall nackte Angst.
Das Herz rast, man bekommt kaum Luft, die Welt sieht plötzlich unnatürlich scharf und grell aus, man möchte flüchten.
Aber man kann nirgendwohin flüchten oder vor einer Sache weglaufen, denn da ist nichts.
Und natürlich weiß man, dass dort nichts ist, aber in einer Paniksituation kann man nicht besonders gut denken oder ruhig bleiben, während der Puls in den Ohren pocht.

Ich weiß nicht, ob man wirklich nachvollziehen kann, wie sich das anfühlt, wenn man sowas nie hatte.
Und genau so gut könnten mich die Leute für verrückt erklären, aber wer mich kennt, der weiß, dass ich eigentlich ein ganz normaler Mensch bin.

Es ist schwer, zu beschreiben, wie sich Panikattacken wirklich anfühlen, das war nur ein Versuch.
Noch viel schwerer ist es aber, dagegen anzukämpfen.
Am Anfang waren es mindestens 20 Panikattacken am Tag, die ich über mich ergehen lassen musste.
Sie kamen in den unmöglichsten Situationen, also schien es keinen bestimmten Auslöser zu geben.

Biologisch betrachtet ist es relativ einfach erklärbar: Dadurch, dass es mir zwei Monate ununterbrochen schlecht ging, haben sich meine Angstrezeptoren umgepolt.
Sie konnten nicht mehr erkennen, wann Gefahr für meinen Körper lauerte. Dadurch waren sie einfach die ganze Zeit in Betrieb (ich denke mal, das ist dann eine übermäßige Ausschüttung von bestimmten Transmittern) und mein Körper war dauerhaft in Alarmbereitschaft.
Und wenn man einmal so eine Attacke erlebt hat, ist es nur logisch, dass man Angst vor der Nächsten bekommt.
So konnte mein Körper auch nicht mehr zur Ruhe kommen, als es mit der Diabetesbehandlung bergauf ging.

Ich konnte nicht mehr aus dem Haus, ohne dass eine Panikwelle mich überrollte.
Selbst im Haus gab es nur einen Ort, wo ich mich sicher fühlte. Mein Zimmer. Genauer gesagt mein Bett, meine Insel.
Und als ich dann selbst dort Panik bekam, brach natürlich eine Welt für mich zusammen.
Wenn man sich nirgendwo sicher fühlen kann, ist das ein furchtbares Gefühl.

Die letzten 3 Jahre habe ich neben der Schule versucht, diese Sicherheit zurückzugewinnen.
Ich musste oft nach Hause, da ich es in der Schule oder in der Öffentlichkeit nicht mehr aushielt, was sehr frustrierend war.
Es fühlte sich jedes Mal nach Versagen an.

Ich weiß, dass andere Angstpatienten und meine Therapeutin mich für meine Willensstärke bewunderten, aber es fühlt sich nicht nach einem Sieg an, wenn man Dinge erreicht, die für andere Menschen jeden Tag das Normalste auf der Welt sind.
Ich war im Kino ohne eine Panikattacke – wow.
Oder: Ich habe eine Panikattacke überstanden, ohne zu verweifeln.
Es fällt schwer, auf solche Dinge stolz zu sein. Vor allem, wenn die meisten deiner Mitmenschen nicht mal etwas davon mitbekommen oder einfach nicht verstehen, wie hart dieses unsichere Leben für mich war.

Psychische Probleme finden in unserer Welt zwar mehr und mehr einen Platz, aber trotzdem ist es noch ein Thema, über das nicht genug geredet und aufgeklärt wird.
Viele sind immer noch der Meinung, Mädchen würden essgestört werden, um dünn zu sein. Dabei resultiert das meist aus ganz anderen Problemen.
Genau deshalb hatte ich Angst, davon zu erzählen, denn ich wollte nicht als ‚irre‘ abgestempelt werden, wenn ich das nicht war. Menschen, die sich mit solchen Erkrankungen auskennen, wissen, dass Adjektive wie mutig oder willensstark viel besser zu mir passen.

Als wir letzte Woche unsere Prüfungsergebnisse für die Abiturprüfungen bekamen, wurden die Schüler mit einem Einser-Abi geehrt, denn das ist natürlich eine Leistung.
In meinem Kopf aber habe ich auch mir selbst applaudiert, denn auch wenn mein Abitur unter den Umständen etwas gelitten hat, habe ich doch sehr, sehr viel erreicht.
Und als einige meiner Mitschüler vor Freude weinten, musste ich auch das ein oder andere Tränchen verdrücken.
Nicht aus Freude über die gute Note, sondern darüber, dass ich so weit gekommen bin.
Von ganz unten nach weit oben, endlich wieder glücklich.

Die letzten drei Jahre waren wohl die Härtesten meines Lebens und doch würde ich die Zeit nicht zurückdrehen wollen.
Meine letzte Panikattacke hatte ich im Februar und auch wenn es immer noch Dinge gibt, die ich lieber meide, geht mein Kampf weiter.

Und ich bin die Gewinnerin.





15 Kommentare:

  1. Liebste Lea,
    ich bewundere deinen Mut, dass du alles niederschreibst. ♥
    Ich bewundere deine Art, deine Kraft, wie du mit allem umgehst und ich wünsche Dir für deine Zukunft alles erdenklich Schöne! :)

    Herzlichst, Seija! ♥

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  2. ich bewundere dich auch total, du bist wirklich stark!! ich wünsche dir dass du weiterhin kämpfst und alles sich für dich bessert :)
    ganz liebe Grüße Sandi <3

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  3. Wooow...ich bewundere dich gerade sehr. Ich wusste nichts davon und bestaune deinen Mut, das alles hier nieder zu schreiben :) Ich wünsche dir weiterhin ganz viel Kraft!
    Liebe Grüße Jasmin (sjasmin.blogspot.de)

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  4. Wow, was für ein bewegender Text! Ich kann in etwa nachvollziehen, wie du dich gefühlt hast. Ich hab ähnliches erlebt und auch lange gebraucht, mich da rauszukämpfen. Die Psyche kann einen richtig fertig machen – und niemand sieht es.

    Danke für deinen lieben Kommentar! <3 Im Juli mach ich die Challenge übrigens weiter, vielleicht zeichne ich dich ja wirklich mal, haha! ;)

    Liebe Grüße

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  5. Liebe Lea
    Ich finde es wahnsinnig toll, was Du alles schon erreicht hast - und auch dass Du den Mut hast, dies hier öffentlich zu schreiben. Ich habe so etwas (allerdings nicht ganz so stark) ein paar Jahre lang erlebt und weiss, wie schwer es ist, dagegen anzukämpfen - wie Du so schön sagst, gibt es ja in echt nichts, gegen das man tatsächlich kämpfen könnte - es spielt sich nur im Kopf ab.
    Ich glaube, dass dieser Beitrag vielen Menschen helfen kann - und sei es nur durchs Mut zusprechen.
    Liebe Grüsse
    Ariana

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  6. ich wünsche dir alles gute für die zukunft und bewundere deinen mut! du schaffst das auch weiterhin, ich drücke dir die daumen! :)
    Liebe Grüße!

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  7. Liebe Lea,
    ich bewundere dich für deine Energie und deinen Durchhaltewillen! Mach weiter so, es lohnt sich! Auch wenn es Tiefs oder Rückschläge gibt, es werden auch wieder Fortwärtsschritte kommen.
    Bei mir wurde eine mittelschwere bis schwere Depression diagnostiziert, die mein Leben auch ziemlich umkrempelte und immer noch umkrempelt. Es gibt Hochs, aber genauso auch Tiefs...
    Für die kommenden Jahre wünsche ich dir viel Energie und Kraft weiter durchzuhalten!
    Liebe Grüße,
    Frauke

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  8. Klasse, dass du so mutig und offen damit umgehst. Ich selbst habe auch ab und zu solche Situationen und ich kenne es auch von meiner Mutter, der wie dir dann die Kehle zuschnürt und oft wird ihr auch schwarz vor Augen. Aber man kann damit leben auch wenn es nicht immer leicht ist und ich finde es toll, dass du durch deinen Beitrag so viel Mut aufbringst für andere denen es genauso wie uns ergeht :)
    Und herzlichen Glückwunsch zum Abi :)

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  9. Wow, Lea, was für ein beeindruckender Post! Toll, wie offen du damit umgehst, was du alles geschafft hast, und vor allem, dass du dich nicht unterkriegen lässt und so positiv aufs Leben schaust! Ich wünsche dir nur das Beste, und dass du dir dieses Gefühl bewahrst, dich von nichts runterziehen zu lassen :)

    Übrigens - ganz anderes Thema: Dein neues Blogdesign ist klasse!

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  10. Wow liebe Lea! Mutige & tolle Worte! Du bist eine Kämpferin & eine Gewinnerin & darauf kannst du stolz sein. Klar sind es Dinge, die eigentlich normal sind, die man alltäglich ganz selbstverständlich macht, aber es ist doch ein toller Erfolg, wieder ins Normale zurück zu kommen.
    Das mit dem Beschreiben kenne ich sehr gut. Ich hatte (& habe manchmal noch) Atmungsprobleme. Hatte das Gefühl, dass irgendwie eine Blockade in meiner Lunge war. Ich bin zwar nicht erstickt oder habe wirklich Panik bekommen, also hab ich ja genügend Luft bekommen. Doch das Gefühl war beklemmend & da & man konnte es auch nicht wirklich beschreiben... Das ist jetzt auch wieder besser zum Glück :)

    Haha ja wandern ist auch nicht so mein Ding :D Wobei ich es liebe durch den Wald zu laufen, über Wurzeln etc.
    Freut mich, dass ich einige schöne Erinnerungen wecken konnte :)

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  11. ich muss den anderen kommentaren hier zustimmen! bewundernswert wie offen du darüber reden/schreiben kannst :)

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  12. Dankeschön liebe Lea (Namensvetterin ;))
    Dein Text den du schreibst ist sehr bewegend. Ich kann mir kaum vorstellen, wie so etwas sein muss, aber hab selber eine gute Bekannte,der es ähnlich ging wie dir und deshalb find ichs besonders toll das zu lesen. Am tollsten ist natürlich das Ergebnis, dass du es geschafft hast und glücklich bist! :)

    Liebe Grüße

    Lea

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  13. ich habe gerade deinen blog gefunden und mich verliebt. unglaublich!

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  14. Ein beeindruckender Text! Toll, wie offen und kreativ du mit deinen Krankheiten umgehst - deine Texte berühren einfach!
    Ich wünsche dir nur das beste für die Zukunft und die Kraft, auch weitere Rückschläge durchzustehen :) Auch hoffe ich natürlich, dass es dir mit deinem Diabetes jetzt besser geht und du besser eingestellt bist!
    Liebe Grüße und genieß den Sommer,
    Malika

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  15. Also hier wohnst du :). Wer macht diese Fotos? Die sind der Hammer! Hey, ich kenne dieses Gefühl nicht wegzuwollen. Das wird dich immer wieder begleiten, dein ganzes Leben lang. Aber nur, wenn du dich mal von allem entfernst, kannst neue Perspektiven gewonnen. Tu es, du bist echt noch jung und kannst immer wieder zurück. Viel Erfolg!

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